Nenn mich nicht Schatz!

Nenn mich nicht Schatz!

«Nur Salat? Seit wann bist du auf dem Gesundheitstrip?»
«Ich habe einfach keinen Hunger.»
«Aha.» Philipp bestellte für sich ein Mittagsmenü und tippte weiter auf seinem Smartphone herum. «Ich muss heute länger in der Kanzlei bleiben», sagte er beiläufig. «Wir haben ein vielversprechendes Mandat bekommen und Vater möchte, dass ich mich da einarbeite.» Er blickte kurz auf.
«Aber wir wollten doch zusammen kochen.» Tamara spielte mit der Gabel. Ihre langen, apfelgrün lackierten Fingernägel glitzerten im frühlingshaft zarten Sonnenlicht, das hier und da zwischen die gestreiften Markisen fiel.
«Ich drucke kein Geld, ich muss es verdienen. Da kann ich nicht schon um fünf alles liegen lassen und aus dem Büro spazieren.»
«Und wann kommst du dann?»
«Ich bleibe in der Stadt bei meinen Eltern. Muss morgen um halb acht im Gericht sein, da kann ich mir den Morgenstau sparen.»
«Aber Schatz…»
«Nenn mich nicht Schatz, ich hasse es.»
Tamara machte einen Schmollmund, doch heute sah sie damit nicht süß aus, sondern irgendwie… widerlich. Wie ein Frosch, dachte Philipp.
«Und morgen?», fragte sie nach einer Pause. «Du wirst doch nicht am Freitagabend deine Akten wälzen. Wie wär’s mit einem Filmabend mit Pizza?»
«Ich esse bei meinen Eltern zu Abend.»
«Ohne mich?»
«Steinbergers sind eingeladen, wir müssen wichtige Dinge besprechen.»
«Und ihre spröde Tochter kommt bestimmt auch angetanzt.»
«Was soll das, Tamara? Bist du eifersüchtig?»
«Auf diese graue Maus? Sicher nicht. Die ist stinklangweilig. Macht gar nichts aus sich, bei all ihrem Geld. Kein Wunder, dass sie mit dreißig immer noch keinen Freund hat.»
Philipp verzog das Gesicht. Sie war geschmacklos, warum war es ihm nicht schon früher aufgefallen? «Annette ist eben keine Tussi. Und sie ist klug, mit ihr kann man über alles reden.»
«Ja, klar, und ich bin dumm, mit mir kann man nur schlafen.»
«Lass das», fauchte Philipp. «Weißt du, wo ich deine Szenen schon habe?» Das gestrige Gespräch mit seinem Vater ging ihm wieder durch den Kopf. Vater hatte Recht, diese Frau war ein Stein an seinem Hals. Er sollte es beenden.
Wahrscheinlich merkte Tamara selbst, dass sie zu weit gegangen war. Eine Weile nippte sie schweigend an ihrem Saft. Dann setzte sie ein versöhnliches Lächeln auf und griff nach ihrer Handtasche. «Ich habe etwas für dich…» Philipp betrachtete sie distanziert, wie eine Fremde. Was hatte er eigentlich an ihr gefunden?
«Überraschung!», flötete Tamara und nahm eine kleine Geschenkbox heraus. Sie legte sie so feierlich vor Philipp auf den Tisch, als ob sie ihm ein Aktienpaket einer Großbank überreichte. «Nun mach’s schon auf!»
Widerwillig nahm Philipp den Deckel von der Box ab und blickte hinein. «Was zum Teufel…?», entfuhr es ihm. Das konnte nicht sein. In der Box lagen ein Paar hellblaue Babyschühchen.
Tamara lachte vergnügt und machte Anstalten, ihm über die Tischecke hinweg um den Hals zu fallen, aber er wehrte sie ab.
«Ist das ein Witz? Du nimmst doch die Pille.»
«Seit Weihnachten nicht mehr.»
«Seit Weih… Spinnst du? Du hast mich gar nicht gefragt.»
«Du hast eh nur deine Prozesse im Kopf. So wird nie was mit uns. Man muss Kinder kriegen, solange man jung ist.»
«Wer sagt das, deine Mutter? Das ist vielleicht in ihrem barbarischen Russland so, aber nicht hier in der Schweiz.» Er schloss die Box und schob sie Tamara zu. «Nimm’s weg.»
Tamaras Froschmund zitterte. Eine Träne kroch über ihre Wange hinunter, dann noch eine. Philipp wusste nicht, wo er hinsehen sollte. «Hör auf», zischte er. «Wir sind in einem Restaurant.»
Die Kellnerin brachte das Essen und schenkte der leise schluchzenden Tamara einen mitleidigen Blick. Philipp wäre am liebsten im Erdboden versunken. Wie konnte er es bloß so weit kommen lassen? Als die Kellnerin gegangen war, sagte er entschlossen: «Hör gut zu, Tamara. Das kommt nicht infrage.»
«Aber du willst doch auch eine Familie gründen…»
«Nein, will ich nicht.» Jedenfalls nicht mit ihr. «Verdammt, hör endlich auf zu heulen, es ist peinlich.» Eine Frau vom Tisch nebenan blickte neugierig in ihre Richtung. Philipp schnaubte. «Du musst abtreiben.»
«Ich soll unser Kind töten?»
«Spar dir deine Moralpredigt. Ich lasse mich nicht erpressen.»
«Ich bin keine Mörderin! Und es ist ohnehin zu spät. Es sind schon vierzehn Wochen.»
«Was? Und du sagst es mir erst jetzt?»
«Ich wollte sicher sein, dass es…»
«Du hast mich reingelegt.»
«Aber Schatz…»
«Nenn mich nicht Schatz, verdammt noch mal! Du hast mich hintergangen, kommt es endlich in deinen blöden Froschkopf? Du hast alles kaputt gemacht.» Philipp warf seine Serviette auf den Tisch und stand auf. «Ich bleibe übers Wochenende in der Stadt. Komm ja nicht auf die Idee mich anzurufen.» Er steckte sein Smartphone ein und verließ die Terrasse.

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