Mein nigelnagelneues Leben
Wie wird man Schriftstellerin?
Ganz einfach. Man meldet sich bei der «Schule des Schreibens» an, und schon kann es losgehen.
Ich ging aber noch weiter und verbannte aus meinem Arbeitszimmer alles, was mich an meinen verlorenen Job erinnerte und mir meine euphorische Entschlossenheit nehmen konnte. Stundenlang leerte ich Ordner und Sammlungen, schaffte vor Formeln und Zeichnungen strotzendes Altpapier weg, trug Mathematikbücher in den Keller. Nur «Der Mathe-Instinkt» von Keith Devlin, «Mathematik für Sonntagmorgen» von George G. Szpiro und einige Bücher über Mathematikgeschichte durften bleiben, denn in einer gänzlich mathematiklosen Umgebung wäre ich nur ein halber Mensch. Und ein halber Mensch kann kein Buch schreiben.
Ich räumte meinen Schreibtisch auf, kaufte Bücher über das Schreiben und verteilte sie gut sicht- und greifbar in allen Regalen.
Kaum war ich damit fertig, traf ein Paket von der «Schule des Schreibens» ein. Darin waren die ersten sechs Lernhefte des Fernlehrgangs «Belletristik» und ein Wegweiser.
Ich fühlte mich großartig. Ich war eine Schriftstellerin! Mir stand ein neues Leben bevor, ein Leben voller Fantasie, ein Leben, in dem ich Bücher lesen und schöne Schreibwaren kaufen konnte, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ich hatte ja schon immer ein Buch schreiben wollen. Was ich erlebt und erfühlt hatte, reichte locker für zwei-drei Menschenleben. Bis jetzt hatte sich meine Fabulierkunst zwar auf «Liebe Mama, mir geht es gut, wie geht es dir?» und schriftliche Arbeiten beim Pädagogik-Studium beschränkt, aber das machte nichts. Ich war bereit zu lernen, und dass man schreiben lernen kann – dass ich schreiben lernen kann – glaubte ich unerschütterlich. Übung macht den Künstler. Ich saß an meinem säuberlich aufgeräumten Schreibtisch und träumte davon, einen Bestseller zu veröffentlichen, keinen seichten Frauenroman natürlich, sondern so etwas wie «Der Meister und Margarita».
Feierlich schrieb ich auf ein weißes Blatt: «Ich schreibe meinen ersten Roman in den nächsten zwei Jahren, bereits während des Studiums.» Ich ließ diese Worte durch mich hindurch strömen, mich ausfüllen bis zum letzten Winkel meines beschaulichen Geistes. Dann schlug ich das erste Lernheft auf. Es roch nach neuem Papier und neuem Leben. Mit einen tiefen Atemzug stürzte ich mich in die Zukunft.
2 Gedanken zu „Mein nigelnagelneues Leben“
Ich gratuliere zu deinem Mut — und wünsche dir einen langen Atem, den wirst du brauchen!
Danke!
Oh ja, dieses Unterfangen stellt meine Hartnäckigkeit auf die Probe. Glaubt man aber erfolgreichen Schriftstellern, ist das keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel.